Im Gespräch: Sebastian Guhr

“Ich finde es faszinierend, dass es in uns
Menschen so etwas Wildes wie Träume gibt.”

Anlässlich des Erscheinens seines neuen Romans “Die Verbesserung unserer Träume”: Autor Sebastian Guhr im Gespräch mit Verleger Jürgen Lagger über Beziehungskonstrukte, die ideale Gesellschaft und das Scheitern von Utopien

 

 

Sebastian, dein neuer Roman “Die Verbesserung unserer Träume” spielt auf einem kleinen Planeten namens Rheit, weit von der Erde entfernt. Rheit ist ein recht ungemütlicher Ort mit Wüstenlandschaften, Stürmen und giftiger, schwefelhaltiger Atmosphäre. Die Protagonisten der Geschichte leben in der Oneiropole, der einzigen Stadt auf dem Planeten, die ursprünglich auch das Symbol einer neuen Gesellschaft sein sollte. Wie kann man sich die Oneiropole vorstellen, was unterscheidet sie von Metropolen, wie wir sie kennen?

Für das 28. Jahrhundert ist sie eigentlich eine relativ normale Stadt. Seit im 26. Jahrhundert die Kolonisierung des Weltalls begonnen hat, wurden viele neue Städte gegründet, geplante Städte, mit einer anfangs noch recht kleinen Bevölkerung. Die Oneiropole hat einen quadratischen Grundriss, sie ist eben die einzige Stadt auf dem Planeten, und diese Isolation macht sie auch zu einer Art Labor. Ihre Architektur richtet sich nach den ideologischen Vorgaben der ersten Siedlergeneration, das heißt, die unterschiedlichen Elemente der Stadt haben auch unterschiedliche politische Funktionen; ganz offensichtlich wird das im kugelrunden Gebäude mit dem Namen Extensum, in dem die Stadtbewohner an ihrer Selbsterweiterung arbeiten können.

 

Die erste Siedlergeneration kam ja von der Erde. Welche Menschen leben denn jetzt dort, wie hat sich die Gesellschaft entwickelt?

Die Stadt und die Institutionen sind geplant, aber die Menschen sind widerspenstig. In gewisser Weise hat sie der Alltag eingeholt. Trotz institutioneller Vorkehrungen hat sich die Gesellschaft ausdifferenziert, es gibt – entgegen der Wünsche der Siedler – wieder so etwas wie ein Establishment, es gibt Avantgardisten und Konservative, es gibt Menschen, die sich in dieser Gesellschaft wohl fühlen und solche, die sich fremd fühlen.

 

“Das ist alles ziemlich schizophren, weil es im
Kapitalismus eigentlich gefährlich ist, sich emotional
so stark zu binden, weil die Kollegen Konkurrenten sind
und weil es immer noch um Ausbeutung geht.”

Auffällig ist auch, dass es auf Rheit nur ein sehr moderates Bevölkerungswachstum gibt, ist das Konzept des Wachstums, wie wir es kennen, überwunden?

Ökonomisches Wachstum ist nicht in dem Maße möglich und nötig wie bei uns auf der Erde, einfach weil man nicht räumlich expandieren kann. Anstelle von Wachstum gibt es eher den Wunsch nach Intensivierung und Verbesserung, wie es der Romantitel ja schon anzeigt. Das Konzept der Selbsterweiterung verlagert Wachstum in das Innere des Menschen.

 

Du hast jetzt schon mehrmals das Konzept der Selbsterweiterung erwähnt, was versteht man auf Rheit darunter?

Es geht um die Verbesserung von Fähigkeiten, zum Beispiel im Sport, aber auch bei so etwas wie “Mitgefühl”. Leider ist da auch ein Wettbewerb zwischen den Bewohnern entstanden, der von der ersten Siedlergeneration so nicht geplant war. Auch hier versuche ich, verschiedene Strömungen zu zeigen. Die Figur Krais hat ein ironisches Verhältnis zur Selbsterweiterung, weil er längst weiß, dass er nicht mithalten kann. Die Figur Obla glaubt an Selbsterweiterung wie an eine Religion und renommiert mit ihrer tadellosen Einstellung, durch die sie sich auch moralisch über weniger Erfolgreiche erhebt. Aspi hat eine pragmatische Einstellung dazu, er findet Selbsterweiterung im Prinzip gut, aber er verabsolutiert diese Idee nicht. Die Politikerin Herl dagegen hat eine zynische Einstellung: Für die Mehrheit der Stadtbewohner findet sie diese Lebensweise passend, sie selbst fühlt sich aber nicht daran gebunden und setzt sie bloß strategisch ein, wenn es zu ihrem Vorteil ist. Wahrscheinlich existieren in jeder Gesellschaft diese verschiedenen Einstellungen zur Mainstream-Ideologie, und solange die Mehrheit wie Obla und Aspi tickt, wird sie überdauern.

 

Aber bedeutet Selbsterweiterung auch eine verstärkte Individualisierung oder anders gesagt, mehr Egoismus, mehr Egozentrik? Oder ist man einfach freier in seinen Beziehungen zueinander?

Schwierig, aber ja, die Ideologie der Selbsterweiterung propagiert die freie Entfaltung der individuellen Möglichkeiten. Die Grundidee ist, dass ein starkes Selbst viele verschiedenartige, wechselnde und trotzdem intensive Beziehungen führen kann. Als Dogma wird das aber schnell anstrengend, da ähnelt die Stadt unserer gegenwärtigen liberalen, postfordistischen Gesellschaft, von der es auch nicht so leicht zu sagen ist, ob wir in ihr freier leben als früher. Heute wird im Bereich der Arbeit viel Flexibilität verlangt und trotzdem eine starke Identifikation mit dem Arbeitgeber, man soll zur Arbeit gehen weil es Spaß macht, die Büros sind hell und geschmackvoll eingerichtet, wahrscheinlich noch mit Kickertischen, man soll seine Kollegen mögen – das ist alles ziemlich schizophren, weil es im Kapitalismus eigentlich gefährlich ist, sich emotional so stark zu binden, weil die Kollegen Konkurrenten sind und weil es immer noch um Ausbeutung geht. Man kann das als besonders perfide sehen, oder als Verbesserung im Vergleich zu den Scheißjobs von früher mit den klassischen Kollegenschweinen. In der Oneiropole gibt es ähnliche Einstellungen zur herrschenden Ideologie. Es gibt Figuren im Roman, die unter dem Selbsterweiterungsdruck psychisch leiden, und es gibt Figuren, die regelrecht aufblühen.

 

 

“Viele Zukunftsszenarien gingen von einer immer
stärkeren Vereinzelung der Menschen aus, aber
praktisch passiert gerade das Gegenteil. Das
bringt auch neue politische Möglichkeiten.”

Der Beziehungsaspekt ist dabei sehr interessant. Obla ist zwar in einer Beziehung mit Aspi, sie kümmern sich auch gemeinsam um Oblas Sohn Chao, aber Beziehungen sind auf Rheit nicht auf Dauer angelegt, vorgesehen ist ein Wechsel des Partners alle zwei Jahre. Das hat, nach allem, was du vorhin gesagt hast, wohl auch mit der Selbsterweiterung zu tun. Klingt aber nach einem schwierigen Modell.

Ja, genau, diese Regel hängt auch wieder mit dem Konzept der Selbsterweiterung zusammen. In einer Beziehung lernt sich ein Mensch durch die Augen seines Partners besser kennen. Das heißt, alle zwei Jahre ist es auf Rheit Zeit, sich mit anderen Augen zu sehen. Natürlich problematisiere ich das im Roman, denn eigentlich ist es ziemlich egozentrisch, den Partner nur als Mittel zur eigenen Entfaltung zu verwenden. Oder führt die begrenzte gemeinsame Zeit zu intensiveren Beziehungen? Oder wird das alles sehr hektisch und bleibt oberflächlich? Paare, die diese 2-Jahres-Regel nicht einhalten, werden auf Rheit schief angesehen wie früher auf der Erde die in “Wilder Ehe” lebenden Paare. Gesellschaftspolitisch hat die 2-Jahres-Regel zur Folge, dass die Erziehung der Kinder weniger an die klassische Elternschaft gebunden ist, sondern locker auf viele Menschen verteilt wird.

 

Das geht aber noch viel weiter, oder nicht? Auch die Vertreter*innen des Zentralpanels, das den Planeten verwaltet, werden nur für jeweils ein Jahr bestimmt und dazu noch nur zur Hälfte gewählt und zur anderen Hälfte gelost. Also nicht nur eine extrem kurze zeitliche Beschränkung von Macht, sonder auch eine Durchmischung von zur Wahl stehenden Personen – also im weitesten Sinne Politiker*innen – und zufällig bestimmter Partizipation von “einfachen Bürger*innen”. Eine erstrebenswerte Vison von Politik?

Zumindest finde ich es erstrebenswert, Berufspolitiker zu verhindern. Stattdessen sollte jeder Bürger mit dem Handwerk des Regierens ausgestattet werden. Ich halte das auch schon in naher Zukunft für praktikabel. Ein Symptom der digitalen Gesellschaft ist ja eine neue Qualität von Gemeinschaft infolge der Vernetzung. Viele Zukunftsszenarien gingen von einer immer stärkeren Vereinzelung der Menschen aus, aber praktisch passiert gerade das Gegenteil. Das bringt auch neue politische Möglichkeiten.

 

Kann man trotzdem sagen, dass in der Oneiropole, sowohl gesellschaftlich als auch privat, ein Zustand vermehrter Beziehungslosigkeit angestrebt wird?

Selbsterweiterung bedeutet auch: Gefühle sollen nicht moralisiert sondern erstmal wertfrei zugelassen werden – das gelingt nur in Beziehungen, die einen Menschen nicht als ganze Person vereinnahmen. Insofern haben diverse institutionelle Vorkehrungen in der Oneiropole die Aufgabe, Beziehungen zu lockern. Aber ich versuche das auch zu problematisieren, die Figuren pendeln zwischen Offenheit und Verstellung, sie haben Angst, sie hängen wehmütig an Liebgewonnenem, sie fürchten Kontrolle durch zu viel Offenheit. Manchen Menschen in der Oneiropole scheinen – trotz entsprechender Erziehung – die psychischen Voraussetzungen zu fehlen, nach der Mainstream-Ideologie zu leben. Ich musste da an Menschen denken, die in den 50er Jahren in der DDR geboren wurden, die also von Beginn ihres Lebens an eine umfassende Erziehung im Zeichen von im Vergleich zum Westen völlig anderen Wertmaßstäben genossen haben und die nach 1990 trotzdem als erstes Bananen, eine HiFi-Anlage von Philips und einen Urlaub auf Mallorca wollten. Offenbar hat die antikonsumistische Erziehung da völlig versagt. Wenn ein Mensch, der die ersten 30 Jahre seines Lebens in einer relativ hermetischen, im Sinne einer neuen Ideologie umgekrempelten Gesellschaft wie der DDR aufwächst dann letztlich so wenig vom “neuen Menschen” an sich hat, finde ich das ziemlich erstaunlich.

 

Leben die “neuen Menschen” auf Rheit also in einer, das klingt ein wenig paradox, strenger strukturierten Freiheit?

Auf jeden Fall wird ihnen aufgrund der Technisierung viel Arbeit abgenommen, die Verwaltung läuft über Algorithmen, Aufgaben werden den Menschen durch eine Art Internet zugewiesen. Aber da sie sehr in die städtische soziale Infrastruktur eingebettet sind und ihnen viel Engagement abverlangt wird, haben sie nicht unbedingt mehr Freizeit. Sinnlose Tätigkeiten stehen in der Oneiropole jedenfalls in keinem besonders guten Ruf, weshalb die Irrationalität von Träumen als eine besondere Gefährdung angesehen wird.

“Wir haben mit der Literatur also eigentlich schon
eine Technik, in den Kopf eines anderen Menschen
zu blicken.”

Trotz aller Selbsterweiterung, trotz aller Versuche, Beziehungsstrukturen aufzulösen, gibt es aber dennoch eine Art Kastenwesen, das aber nicht unbedingt durch den sozialen Status bestimmt wird, es gibt Verstockte, es gibt Fixierte, wie definieren sich diese verschiedenen Gruppen?

Diese “Kasten” ergeben sich aus den verschiedenen psychologischen Reaktionen auf die Anforderungen der Ideologie der Selbsterweiterung. Fixierte sind offenbar zu nah am Objekt ihres Interesses und können nicht loslassen. Verstockte sind zu fern, trauen sich gar nicht erst, Interesse zu entwickeln. Beide Einstellungen werden durch den Mainstream pathologisiert, einige Figuren im Roman haben Angst, als Verstockte oder Fixierte angesehen zu werden. Heimlich Fixierte – zum Beispiel der Erfinder Dix – sind in dieser Welt oft erfolgreich, da sie sich wie Besessen mit einem Wissensgebiet beschäftigen können.

 

Du hast vorhin von digitaler Gesellschaft, von Vernetzung, von Algorithmen gesprochen. die Bewohner*innen der Oneiropole tragen alle einen Akont, eine Art technischen Traum- und Gedächtnisspeicher. Durch Austausch des Akonts kann man quasi im Schnellverfahren eine einem zuvor völlig fremde Person und ihre intimsten Wünsche und Gedanken kennenlernen. Eine Idealvorstellung oder eigentlich der absolute Horror?

Diese Möglichkeit, sich inwendig kennenzulernen, wäre schon eine Idealvorstellung für mich, sofern man kontrollieren kann, wann und mit wem es geschieht. Ich glaube aber, dass Individualität eine neuzeitliche Erfindung ist und in ein paar hundert Jahren in dem Maße an Bedeutung verlieren wird, in dem sich die Trennung zwischen Innen- und Außenwelt auflösen wird. Vorstellungen im Kopf als eine Art Film auf einem Display sichtbar zu machen hängt wahrscheinlich davon ab, wie gut man das Gehirn erforscht und wie exakt man elektrische Muster decodieren kann. Wenn wir Literatur nehmen, also die Beschreibung einer Szene mit Wörtern, finde ich es erstaunlich, dass verschiedene Leser sich sehr ähnliche Bilder von dieser in meinem Kopf entstandenen Szene in ihrem Kopf machen. Das hat was von Gedankenübertragung und ist auch irgendwie gruselig. Wir haben mit der Literatur also eigentlich schon eine Technik, in den Kopf eines anderen Menschen zu blicken. Anders als beim Film kann Literatur sogar noch die sprachlichen Gedanken abbilden und wirklich simulieren, was in einem Kopf vorgeht. Das ist eigentlich ziemlich genial.

 

 

“Ich finde es faszinierend, dass es in uns Menschen so etwas Wildes wie Träume gibt.”

Aber bei aller digitaler Entwicklung sind es in dem Buch doch gerade die ganz elementaren Dinge, die zum Untergang führen. Die Träume der Menschen und das Bewusstsein über die eigene, unausweichliche Endlichkeit zerstören, so suggeriert es die Geschichte, jegliche Ordnung. Steckt demnach in jeder Zukunftsvision, die den Menschen einbindet, immer auch ihr Untergang?

Der Untergang steht erstmal jedem Menschen bevor, denn er wird sterben. Es sei denn, er geht in etwas Größerem auf, im Netz, in einem größeren Organismus, in Kultur. Die Frage ist, wie man sich langfristig gegen Irrationales, zum Beispiel Umweltverschmutzung oder Kriege, stemmen kann, obwohl die Verantwortung bei Individuen liegt, die die Folgen ihres Handelns nicht mehr erleben oder denen ihr eigenes Leben nicht wichtig ist. Kulturelle Stabilität beruht auf der Sicherung von Kommunikation, alte Straßen müssen neu gepflastert werden, manche Elemente eines Weltbilds müssen verworfen und durch Besseres ersetzt werden. Die Stadt unterscheidet sich da nicht so sehr von einem Gehirn, und tatsächlich habe ich beim Schreiben ein wenig versucht, Marvin Minskys Theorie der Society of Mind reinzubringen, das heißt, Stadtbewohner erzeugen durch Kommunikation und Verhandeln eine größere Intelligenz. Als die Katastrophe über die Stadt hereinbricht, bricht die Infrastruktur zusammen, das Gehirn der Stadt stirbt und die Sinnmaschine bleibt für eine Weile stehen. Später kommen Selbstheilungsprozesse auf Ebene der Gesellschaft in Gang, die der Selbstheilung eines Gehirns nach einem Trauma ähneln.

 

Ok, Sicherung von Kommunikation. Das ist was sehr Rationales. Aber was bedeutet das eher irrationale Element des Träumens in dem Buch? Was macht es so bedrohlich? Ist es die mangelnde Beeinflussbarkeit? Der Kontrollverlust? Du schreibst ja auch von einer “Traumüberflutung”, flüchten die Menschen immer mehr in ihre Traumwelten?

Ich finde es faszinierend, dass es in uns Menschen so etwas Wildes wie Träume gibt. Selbst der biederste Kleinbürger träumt nachts von den verrücktesten Dingen, und morgens geht er ins Büro und tut so, als wäre dieses Verrückte nicht in ihm. Er hat seine Alltagsprobleme, die er rational zu lösen versucht, er hat Sprache, er hat Apparate, aber dieses Wilde ist immer auch mit gegenwärtig. In der Welt meines Romans sind die Grenzen zwischen Gedankenwelt und Außenwelt noch durchlässiger als in unserer innerweltlich schon ziemlich gesättigten Gegenwart. In einer Welt, in der die Menschen nach belieben in eine Virtuelle Realität einsteigen können, in der sie ständig über Hologramme mit anderen Umwelten und Innenwelten in Verbindung stehen – wo befindet sich da jemand, der sich im “Jetzt” befindet? Für mich ist es für meine psychische Gesundheit wichtig, zu wissen, wann ich ganz bei mir selbst bin, aber dieses Konzept von Person kann in der Zukunft obsolet werden. Da kann ich mir menschenartige Wesen vorstellen, die in einer Art Dauer-Delay-Modus leben, ständig mit den Gedanken woanders, in anderen Bildern, in anderen Köpfen, von Fremd-Emotionen bewegt. Diese psychologischen Aspekte des Transhumanismus habe ich versucht zu beschreiben. Schwindet die Konzentrationsfähigkeit in solchen Welten, weil das Netz, in das mein Denken eingebettet ist, ungenügende Filter hat? Träumen wir gemeinschaftlich? Ist es denkbar, dass sich solche Hybridmenschen zu größeren Organismen zusammenschließen? Außerirdische, die in zehntausend Jahren auf die Erde stoßen, werden vielleicht ein paar hundert große Lebewesen antreffen, sie werden im Aufbau dieser Lebewesen eine Reihe von Selbstähnlichkeiten entdecken, darunter seltsame zweibeinige Zellen, die über Bahnen elektrische Signale austauschen.

 

Gewarnt wird in der Geschichte nicht nur vor den Träumen, sondern auch vor der Verwendung von “alter Sprache”, also von Worten, die auf der Erde Bedeutung hatten (und zum Teil von den Siedlern noch verwendet wurden), sie führten zu “altem Denken”.

Sprache ist natürlich immer auch ideologisch, und wer neue Werte durchsetzen möchte, sollte die Alltagssprache nicht unterschätzen. Was das angeht, bin ich im Roman aber zugunsten der Lesbarkeit ziemlich moderat geblieben.

 

Ist trotz allem Bemühen in jeder Utopie und trotz neuer, eigener Sprache das Scheitern von Anfang an mit veranlagt?

Wenn die Utopie ein Ideal formuliert, ist das Scheitern insofern vorprogrammiert, als dass ein Ideal immer unerreichbar ist. Ich persönlich habe eher wenig Vertrauen in langfristige Projekte, und die Figur Obla im Roman hat davon etwas abbekommen. Ich traue mich nicht zu sagen, was in zwei Jahren sein wird. Erfahrungsgemäß wird die Welt nach zwei Jahren immer noch nicht untergegangen sein, und diejenigen Menschen, die aufgrund ihres Optimus fähig waren, in Vorleistung zu gehen, werden wahrscheinlich mehr erreicht haben als ich. Meine Angst ärgert mich. Vielleicht sollte ich mich stärker vernetzen und meine Angst verteilen.

“Zukünftigen Betrachtern von Matrix werden Keanu
Reeves Kämpfe vermutlich albern erscheinen, sie
werden sie nicht verstehen.”

Was reizt dich dann trotzdem an der Utopie, am Science-Fiction-Genre, oder, anders gefragt: Was sind die Vorteile gegenüber einem in der Jetzt-Zeit verhafteten Roman?

Utopie stellt einen Entwurf dar, der erst mal gar nicht literarisch sein muss. Und oft sind Utopien langweilig, weil zu statisch. Also sprechen wir lieber über Science-Fiction. Romane in der Tradition von Robert A. Heinlein, bei der die technische Machbarkeit im Vordergrund steht, finde ich langweilig, mich interessieren eher philosophische Fragen. Science-Fiction bietet mir die Möglichkeit, phantasievoller zu erzählen und ein Gefühl von Fremdheit zu erzeugen. In diesem Sinne kann Science-Fiction sehr poetisch sein. Außerdem kann ich spekulativer erzählen, wobei ich natürlich gar nicht anders kann als immer von meiner eigenen Gegenwart zu erzählen. Der Blick von außen auf die Spezies Mensch ist auch in der Science-Fiction nicht möglich, und viele Science-Fiction ist krass konservativ – zumal wenn sie einer Spannungs-Dramaturgie folgen muss, die so auch im New York der 80er Jahre oder in einer Fantasy-Welt spielen kann und bei der nur die Ausstattung variiert. Mich interessieren Erzählungen, die auch in ihrer Machart Fremdheit evozieren, zum Beispiel Samuel Delanys Roman “In meinen Taschen die Sterne wie Staub” oder Reinhard Jirgls “Nichts von euch auf Erden”. Aber wie gesagt, auch da ist völliges Kontingenzbewusstsein nicht möglich. Ich muss da immer an die beiden Voyager-Sonden denken, denen ja ein paar Botschaften über uns Menschen mitgegeben wurden, unter anderem ein paar Fotografien. Auf einem Foto sitzt am unteren Bildrand ein Mensch an einem Kamin, ein anderer Mensch steht am oberen Bildrand vor einer Staffelei und malt. Die Wissenschaftler, die dieses Foto ausgewählt haben, wollten damit zeigen, dass wir auf der Erde Feuer nutzen und dass wir fähig sind, Kunstwerke zu schaffen. Nur, was den hauptsächlich männlichen Wissenschaftlern quasi nebenbei unterlaufen ist: Die Person unten am Feuer ist eine Frau und die Person oben an der Staffelei ist ein Mann. Damit sagt das Foto viel mehr über Rollenbilder und Machtverhältnisse aus als beabsichtigt war.

 

Gibt es im Genre Science-Fiction eine Art Vorbild für dein Szenario, deine Welt? Ich musste an “Blade Runner” und “Dune” denken, ein wenig vielleicht auch an “Total Recall”, oder direkt literarisch an Leif Randts “Planet Magnon” …

Mir fällt kein bewusstes Vorbild ein, aber unbewusst ist da bestimmt was aus Dune und aus Ursula K. LeGuins Roman “Die Enteigneten” dabei. Was die Wüste als Ort psychedelischer Erfahrung angeht, wurde ich bestimmt auch von den Science-Fiction-Comics von Moebius beeinflusst. Planet Magnon, das ich erst gelesen habe nachdem ich meinen Roman beendet hatte, fand ich stellenweise ganz gut, stellenweise aber auch zu bieder. Blade Runner und Matrix habe ich natürlich auch gesehen. Das sind gute Beispiele für Filme, die ihre Dramatik größtenteils daraus ziehen, dass sie einen Menschen der 80er bzw. 90er Jahre in ein Zukunftsszenario stecken, in der ganz andere Konzepte von “Person” oder “Authentischer Erfahrung” herrschen. Solche Hollywood-Film sind nur bedingt fähig, wirklich etwas Anderes zu zeigen, weil eine besondere Form von Unverständlichkeit nur sehr beschränkt zugelassen wird. Zukünftigen Betrachtern von Matrix werden Keanu Reeves Kämpfe vermutlich albern erscheinen, sie werden sie nicht verstehen.

 

Danke für das Gespräch!

Zum Buch: Die Verbesserung unserer Träume
Autorenfotos: Sebastian Guhr
Foto Buch: Andreas Scheriau